Beirette electronic

Kompakte Abmessungen, wenig Gewicht, eine gute Bildqualität, robust und preiswert. Gibt es solche Kameras eigentlich noch? Die Beirette Electronic käme da in Frage. Eine zeitlos unauffällige Kompaktkamera aus DDR-Produktion mit geringem Prestige, dafür aber immer gut für respektable Ergebnisse. Die Beirette electronic wurde zwischen 1981 und 1989 in einer Menge von 27.103 Stück gebaut und fristet heute zu Unrecht ein wenig bekanntes Dasein in der Nische der Lomo- oder Experimental-Kameras. Dabei kann man mit einer Beirette electronic mehr als mit Lichteinfall verhunzte, unscharfe Negative anfertigen.

Die Kamera wurde in der VEB Kamerafabrik Freital - vormals Kamerawerk Woldemar Beier KG - ab 1977 als Kompaktmodell mit Zeitautomatik und LED-Anzeige entwickelt. Das war damals noch Stand der Technik. Die neu entwickelte Elektronik der Beirette electronic wurde in der Folge in einer leicht abgewandelten Version im Modell Beirette 35 weiter verwendet, dort allerdings in Form einer Nachführbelichtungsmessung mit LED-Belichtungsabgleich sowie Priomat-Verschluss in einem Gehäuse ähnlich der Beirette vsn.

Dezember 2023




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Die Beirette electronic wurde mit einem Objektiv vom Tessar-Typ ausgestattet und liefert respektable Ergebnisse. Blendet man das Objektiv zwei Stufen ab, ist die Bildqualität auf dem Niveau einer Minox GL oder Olympus XA.







So viel mir bekannt ist, wurden von dieser Kamera etwas mehr als 27.000 Stück hergestellt und das in zwei Varianten, welche sich nur durch die Belederung und die Beschriftung unterscheiden. Es gibt gestreiften  oder glatten Kunststoff, sonst ist die Ausstattung gleich.
Pro:

- eine der preiswertesten elektronisch gesteuerten Kompaktkameras

- gutes Objektiv vom Tessar-Typ

- für Negtivfilm ausreichend genaue Belichtungsmessung

- kompaktes und leichtes Gehäuse

- leicht beschaffbare 4SR44-Batterie




Kontra:

- Filmempfindlichkeit nur bis ISO 400 einstellbar

- Schärfentiefenskala am Objektiv fehlt
Beginnen wir beim Objektiv der Beirette electronic. Da sollen je nach Quellenlage die Linsen entweder aus vergütetem Glas oder aus banalem Kunststoff gefertigt sein. Bisher konnte ich nicht mit letzter Gewissheit feststellen, aus welchem Werkstoff die Linsen jetzt wirklich sind. Die Oberflächen lassen aber den Schluss zu, dass es sich um optisches Glas handelt. Die Ähnlichkeit mit dem Meritar aus der Beirette vsn, die Farbe der Vergütung sowie die Oberflächenbeschaffenheit deuten für mich auf Glas hin, vor allem weil die optische Industrie der DDR darauf eingerichtet war Glaslinsen zu verwenden. Nicht nur das Material, auch der optische Aufbau des Meritar wird verschwiegen, eine Quelle gibt aber einen Tessar-Typ mit vier Linsen in drei Gruppen an. Das ist plausibel, denn Meritar-Objektive in dieser Konstruktion sind hinreichend belegt.
 
Das Meritar 42mm/2.8 ist ein Normalobjektiv mit 54° diagonalem Bildwinkel und einer neutralen Perspektive. Verglichen mit den Objektiven der High-End-Kompaktkameras aus den 1980ern ist das Meritar nicht besonders lichtstark. Es liefert aber für diese Kameraklasse solide Ergebnisse, welche sich nicht zu verstecken brauchen. Bei Lichtstärke f2.8 bewegt es sich vor allem an den Bildrändern auf der weichen Seite und kommt bei offener Blende an Festbrennweiten einer Spiegelreflexkamera nicht ganz heran. Vignettierung ist ein Thema und man sieht sie auch sofort. Abblenden steigert die Abbildungsleistung und der optimale Bereich liegt rund um f11.0. Da bewegen sich die Detailwiedergabe und die Bildschärfe auf einem erstaunlich guten Niveau etwa vergleichbar mit einer Minox 35GL. Abschattungen an den Bildrändern sind ab f8.0 nicht mehr zu sehen und Bildfeldwölbung ist bei einem Tessar-Normalobjektiv mit 54° Bildwinkel kaum ein Thema. Was das Meritar nicht verkraftet ist Gegenlicht oder Licht von schräg vorne. Das ist aber für einfach aufgebaute Tessare nicht ungewöhnlich. Eine Streulichtblende ist ein nützliches Zubehör und mit dem Filtergewinde M49x0.75 auch leicht und preiswert zu beschaffen. Damit reduziert man die Problematik und eliminiert zumindest die Bildfehler bei schrägem Lichteinfall auf das Objektiv. Die Genauigkeit des Belichtungsmesers wird mit einer Streulichtblende auch noch ein wenig optimiert. Diffraktion tritt beim Meritar im Bereich f16 bis f22 auf. Diesen Blendenbereich nutzt man nur, wenn es wirklich sein muss. Die Beirette Electronic ist eine einfache Kamera und hat keinen Messsucher, was bedeutet, dass die Entfernung zum Objekt geschätzt werden muss. Bei einer Brennweite von 42mm und einer Anfangslichtstärke 2.8 sollte das relativ genau geschehen. Leider gibt es am Objektiv keine Schärfentiefenskala, was die Sache nicht leichter macht. Die auf troeszter.net verfügbare Bedienungsanleitung habe ich aus diesem Grund um eine Tabelle für alle Blenden und wichtige Entfernungen ergänzt

Im Unterschied zur Beirette vsn und Beirette 35 ist die Beirette electronic nur mit einer Batterie sinnvoll nutzbar. Hier wurde das Konzept der Pentacon electra und electra 2 übernommen, bei der ein Zentralverschluß elektromagnetisch angesteuert wird. Die Belichtungszeiten für die Zeitautomatik wurden bei diesen Kameras mittels dreier Transistoren über die Ladung eines Kondensators und Widerstände gebildet. Die Beirette electronic ist bereits viel moderner und nutzt einen speziellen Multivibratorbaustein A302 vom VEB Halbleiterwerk Frankfurt/Oder zur Bildung der Verschlußzeiten und Steuerung des Auslösemagneten. So ähnlich ist übrigens auch die Elektronik der Praktica EE2 ausgeführt gewesen. Eine elegante, damals sehr moderne Lösung, die nur ganz wenig Batteriestrom braucht. Fotografieren ohne Batterie ist zwar möglich, mit einer fixen Belichtungszeit von 1/500 Sekunde kommt man aber nicht weit. Man sollte immer vor dem nächsten Film die Batteriekontrolle bemühen um nicht stromlos liegenzubleiben. Eine Batterie für die Beirette electronic ist leicht zu bekommen, denn eine 4SR44-Batterie mit sechs Volt nominaler Spannung gibt es überall im Fachhandel. Oder man fummelt vier Stück SR44 inklusive einem „Distanzstück" aus Alufolie ins Batteriefach. Eine einwandfreie Beirette electronic ist kein besonderer Batteriekiller und die 4SR44-Batterie sollte je nach Nutzung zwei Jahre oder länger halten.

Die Bedienung der Kamera ist einfach und jeder kommt damit zurecht. Das Filmeinlegen ist keine große Sache. Den Filmanfang in den Schlitz der Aufwickelspule stecken, überprüfen, dass sich die Filmperforationen auf beiden Seiten in die Zahntrommel einhängen, Rückwand schließen und den Film bis zur Zählwerksanzeige für das erste Bild transportieren. Jetzt stellt man am Objektiv die Filmempfindlichkeit ein. Damit ist die Kamera einsatzbereit. Mittels Blendenring wird nun die gewünschte Blende gewählt. Dazu stehen Blendenzahlen oder Wettersymbole zur Verfügung, damit auch völlig Unbedarfte mit der Kamera zurechtkommen. Die Belichtungszeit bildet die Beirette electronic selbst, eine einfache CdS-Messzelle erfasst das auf das Objektiv fallende Licht und regelt in Abhängigkeit von der eingestellten Blende die Belichtungszeit. Die Kamera hat keine Matrixmessung oder andere Kinkerlitzchen, das einfache Belichtungssystem funktioniert aber erstaunlich genau und ist für Negativfilm bei normalen Lichtverhältnissen ausreichend. Bei Landschaften mit viel Himmel als Motiv empfiehlt sich die Filmempfindlichkeit als Belichtungskorrektur um eine Blende zu öffnen. Ein ISO-400-Film wird in so einem Fall auf ISO 200 eingestellt oder ein ISO-200-Film auf ISO 100 korrigiert. Die Schärfe sollte man auch noch genau schätzen und einstellen. Schon kann man das Objekt anvisieren und auslösen. Dazu gibt es einen einfachen aber relativ großen und sehr hellen Leuchtrahmensucher. Der informiert mittels Begrenzungslinien, was aufs Bild kommt und besitzt derartige Linien sogar als Parallaxenausgleich für Motive im Bereich von weniger als zwei Meter Abstand zur Kamera. Falls die Belichtungszeit unter 1/30 Sekunde sinkt, leuchtet im Sucher eine rote Leuchtdiode als Warnung vor Verwacklungsgefahr. Mehr gibt es im Sucher nicht zu sehen.
Wer die wertige Anmutung einer Contax T2 oder Nikon 35ti erwartet, wird von der Beirette electronic enttäuscht. Hier gibt es keine titanisierten Gehäuseoberflächen. Kunststoff ist das Material der Wahl. Das ist kein Nachteil, denn die Oberflächen sind bis zu einem gewissen Grad kratzerresistent und für den angepeilten Zweck ist das Kunststoffgehäuse stabil genug. Bei meiner Beirette electronic ist es völlig in Ordnung. NIchts ist abgebrochen oder spröde geworden.
Was die Beirette electronic nicht kann: Es gibt keine vollständig manuelle Belichtungseinstellung. Eine fixe Belichtungszeit von 1/30 Sekunde kann man erreichen, indem man den Schalter für die Blitzsynchronzeit im Blitzschuh betätigt. Dazu schneidet man sich ein Plastikplättchen von zwei Millimeter Stärke passend zurecht und schiebt es in den Blitzschuh. Oder man findet in der Bastelkiste noch eine Nikon BS-1 Blitzschuhabdeckung. Zur 1/30 Sekunde kann man jede Blende einstellen, ob das ohne externen Belichtungsmesser sinnvoll ist, sei dahin gestellt. Eine eventuell erforderliche Belichtungskorrektur kann man besser über die Filmempfindlichkeit vornehmen. Die Filmempfindlichkeitseinstellung des Belichtungsmessers reicht zwar nur bis ISO 400, was speziell bei 400er-Filmen auf den ersten Blick als ein Nachteil erscheint. Nachdem aber meistens reichlicher belichtet werden soll, zum Beispiel bei Gegenlichtaufnahmen, wird man mit so einer Einschränkung leben können. Die Beirette electronic ist darüber hinaus sogar mit einer Langzeitbelichtung B ausgestattet, die über die Batteriekontrolle aktiviert wird. Man hält die rote Taste neben der Rückspulkurbel gedrückt und betätigt gleichzeitig den Auslöser. Der Verschluss schließt erst wieder, wenn die rote Taste losgelassen wird.

Bleibt noch eine kurze Erwähnung des Gewichts dieser Kamera. Lediglich 270 Gramm inklusive der Batterie bedeuten viel Kunststoff und bis auf den Bodendeckel wenig Metall. Dafür ist die Kamera leicht. Man kann sie jeden Tag dabei haben ohne Schäden an den Bandscheiben zu erleiden, weil man sich so abschleppt.

Meine Beirette electronic habe ich vor vielen Jahren geschenkt bekommen. Ich glaube nicht, dass ich erst der zweite Besitzer bin, weil die Buchstaben electronic im Schriftzug auf der Vorderseite der Kamera sehr professionell mit grüner Farbe ausgelegt worden sind. Das war weder eine Variante ab Werk und die Person, von der ich die Kamera geschenkt bekommen habe, hat den Schriftzug auch nicht eingefärbt. Jedenfalls ist diese Beirette electronic voll funktionsfähig, die CdS-Zelle ist noch in Ordnung und das Plaste-Elaste-Gehäuse weder klebrig noch löst sich ein Teil ab. Schön, dass ich das nach vierunddreißig Jahren Kamera-Lebenszeit berichten kann.

Fazit:
Am Anfang der 1980er-Jahre war die Beirette electronic ein Versuch in der DDR wieder konkurrenzfähige Kompaktkameras zu bauen. Dem maroden Wirtschaftssystem geschuldet, musste die Kamera aber völlig ohne Superlativen auskommen. Sie ist eine unauffällige aber genau deshalb eine interessante Kamera. Fancy-Features, welcher Art auch immer, sucht man vergeblich, aber man kann mit dieser Kamera einfach gute Fotos machen. Ein Vorteil ist auch, dass die meisten Kameras nicht intensiv genutzt worden sind und einwandfreie Exemplare - inklusive funktionsfähiger Belichtungsmessung - regelmäßig verfügbar sind. Am Flohmarkt findet man dieses Modell in einem guten Zustand mit viel Glück schon ab einem Zehner, was noch ein weiteres gutes Argument für diese Kamera ist.