Das Bedienkonzept der Nikon 35Ti und 28Ti ist durchdacht und sehr einfach, auch wenn man für das Aufrufen einzelner Funktionen manchmal eine Taste drücken und zugleich das Wählrad drehen muß. Man ist damit zufrieden, denn die Tasten haben einen gut fühlbaren Druckpunkt und auch das Wählrad läßt eine präzise und zügige Bedienung zu. Insgesamt gesehen könnten die Tasten größer sein, aber das ist ein Manko vieler Kompaktkameras und eigentlich keine wirkliche Kritik. Vor allem das NADS mit seinen Zeigern ist eine sinnvolle Sache und man gewöhnt sich rasch daran, alle Daten auf einen Blick vor sich zu haben. Generell gesehen arbeitet man mit einer kleinen Kompaktkamera immer langsamer als mit einer Leica M oder einer Spiegelreflexkamera. Das geringere Volumen und Gewicht der Nikon 35Ti oder 28Ti erkauft man sich eben mit einer etwas langsameren Bedienung.
Stichwort Geschwindigkeit: Was mich an der Kameraelektronik meiner 35Ti wirklich stört ist die behäbige Reaktionszeit. Beim einschalten dauert es etwa eine halbe Sekunde bis die Kamera reagiert und das Objektiv auszufahren beginnt. Das Umschalten von Programmautomatik auf Zeitautomatik erfordert ebenfalls mindestens eine halbe Sekunde Nachdenkpause und noch mehr Zeit läßt sich die Kamera bei der Umschaltung von Zeitautomatik auf Programmautomatik. Da vergeht knapp eine Sekunde, bis die Elektronik reagiert. Wenn man die Kamera ausschaltet und sofort wieder einschaltet kann es sein, daß sie überhaupt nicht reagiert, denn auch da sollte etwa eine Sekunde vergehen, bevor man den Schalter wieder auf die Position P oder A dreht. Die von mir verwendete Nikon 35Ti hat diese Eigenschaft schon seit ich sie gebraucht gekauft habe und mir wurde gesagt, daß das kein Fehler sondern eine typische Eigenart sei. Sie wäre eben eine Kompaktkamera und da könne man nicht die Reaktionsgeschwindigkeit einer Spiegelreflex erwarten, auch wenn sich die Nikon 35Ti wie eine solche anfühlt.
Meine Nikon 28Ti ist schneller, sie reagiert bei der Umschaltung der Betriebsarten flotter, braucht weniger Nachdenkpausen und auch wenn man die Kamera ausschaltet und sofort wieder einschaltet ist das kein Problem. Nach langen Tests glaube ich auch den Grund für die unterschiedlichen Reaktionszeiten gefunden zu haben. Bei der Nikon 28Ti kann man das interne Blitzgerät mittels Schalter deaktivieren. Der Blitzkondensator wird erst dann geladen, wenn man den Schalter auf das Blitzsymbol schiebt. Bei der Nikon 35Ti wird der Blitzkondensator bei jedem Ein- bzw. Umschaltvorgang geladen, was Batterieleistung braucht und höchstwahrscheinlich die Kamera deshalb langsamer reagieren läßt.
Wie man schon der Einleitung entnehmen kann, unterscheiden sich die beiden Kameramodelle nur marginal, wobei die Objektive den größten Unterschied ausmachen, doch dazu später. In den 1990ern war es für alle Hersteller mit technologischem Führungsanspruch trendy eine Kompaktkamera mit der Qualität eines Spiegelreflexmodells anzubieten. Contax mit der T2 bzw. der TVs, Minolta mit der TC1 oder Leica mit der Minilux zählten damals zu den Mitbewerbern bei feinen Kompaktkameras und wie es scheint hatte Nikon damals das ambitionierte Vorhaben die perfekteste Kompakte auf den Markt zu bringen. Die Konstrukteure durften aus dem Vollen schöpfen und alles verbauen, was zur damaligen Zeit gut und teuer war. Das war auch gut so, denn heute profitiert man von den hochwertigen Materialien und der perfekten Verarbeitung.
Schon der Blick in den Sucher ist bei den Nikon Ti-Modellen gut für Überraschungen. Obwohl das Okular wie bei fast allen Kompaktkameras zu klein ist, bietet der Sucher den Komfort einer ausgewachsenen Kamera. Mittels LC-Technologie werden unterschiedliche Informationen eingeblendet. Das beginnt beim Formatrahmen, der in Abhängigkeit von der ermittelten Entfernung auch den Parallaxenausgleich berücksichtigt und geht weiter über die Anzeige der Verschlußzeit oder wahlweise auch der Blende. Daneben gibt es noch Informationen zum eingestellten Belichtungsmeßsystem und zur Blitzbereitschaft. Weil die Anzeigen bei Tageslicht zwar gut zu sehen sind, aber die Lesbarkeit bei Dunkelheit sehr zu wünschen übrig läßt, wird in diesem Fall automatisch eine rote Beleuchtung zugeschaltet. Insgesamt eine brauchbare und durchdachte Lösung, die bis auf das zu kleine Okular völlig kritiklos bleibt.
Eine andere Sache ist die Panoramafunktion. Wie bei vielen anderen Kompaktkameras besteht diese Funktion aus zwei Blenden im Filmfenster, die bei der Aufnahme oben und unten am Negativ einen Teil abdecken und damit ein „Panorama" in der Größe von ca. 13x36mm am Negativ übrig lassen. Gut gemeint, aber in der Praxis nicht zu gebrauchen, vor allem wenn man schon eine Hasselblad XPan in der Hand gehabt oder mit Digitalkamera-Panoramas experimentiert hat. Ehrlich gesagt würde der Nikon 35Ti bzw. der 28Ti (und auch allen anderen Kameras mit diesem System) nichts fehlen, wenn die Panoramafunktion nicht vorhanden wäre.
Die Nikon 35Ti wurde von 1993 bis 1998 produziert, die Nikon 28Ti von 1994 bis 1998. Danach wurde die Produktion ohne Nachfolgemodell eingestellt, denn scheinbar war der begrenzte Markt für High-End-Kompaktkameras gesättigt. Über die Produktionszahlen gibt es keine Informationen, es dürfte aber so sein, daß das Verhältnis von Nikon 35Ti zu Nikon 28Ti in etwa 4:1 beträgt. Vier ausgelieferten Nikon 35Ti steht eine ausgelieferte Nikon 28Ti gegenüber, was einen höheren Gebrauchtpreis erklärt. Vielfach werden Nikon 28Ti in der Vitrine gehortet, was der Verfügbarkeit am Gebrauchtmarkt nicht gut tut. An eine gut erhaltene Nikon 35Ti kommt man viel leichter heran als an eine Nikon 28Ti, denn wer diese Kamera besitzt, gibt sie in der Regel nicht mehr her.
Fazit: Wahrscheinlich die Luxus-Kompaktkameras mit dem besten Feeling und dem tollsten Display für die verschiedenen Einstellungen. Goodies wie Matrix-Messung und eine hervorragende Blitzlichtsteuerung sind inklusive, ebenso eine Datenrückwand zur Einbelichtung von Datum und Uhrzeit. So etwas mußte man bei allen Konkurrenzmodellen für teueres Geld nachrüsten, bei Nikon 35Ti und 28Ti war die Datenrückwand im Ausstattungspaket serienmäßig dabei. Die Kameras sind nicht nur ausgestattet, sie greifen sich auch so gut wie eine Leica-M an und sind dabei nur wenig größer als eine Rollei 35. Wenn man eine Ahnung von Fotografie hat, ist die Nikon 35Ti oder die seltenere Nikon 28Ti ganz sicher ein Tipp und man bringt mit Garantie tolle Fotos nach Hause. Sehr gut geeignet für Farbnegativ- und bestens geeignet für schwarzweiß-Film, schon wegen der lichtstarken Objektive und dem schönen Bokeh.
Die Nikon 35Ti und die Nikon 28Ti
unterscheiden sich bei den Bedienelementen nur durch die Blitzsteuerung
mittels Tasten bzw. Schiebeschalter und die Gehäusefarbe. Das Modell 35Ti
hat es nur mit dem hellen Titangehäuse gegeben, die 28Ti war nur im
schwarzen Titangehäuse zu haben.