Um beim so beliebten keep it simple zu bleiben, schlagen wir für eine anschauliche Erklärung einfach beim
"Meister himself" nach. Andreas Feininger gibt in seinem Buch Die Hohe Schule der Fotografie eine Anleitung, mit der man sich
- auch
noch im digitalen Zeitalter - die Sache mit der Perspektive bei den unterschiedlichen Brennweiten erschliessen kann.
Das funktioniert ziemlich einfach: Man nimmt sich eine Kamera mit einem Zoomobjektiv und stellt sich auf einen
leicht erhöhten Platz, der eine gute Übersicht bietet. Irgendwo in der Mitte des Motivs sollte es in hundert bis zweihundert Metern Entfernung ein markantes Objekt mit einer gewissen Tiefenausdehnung geben, weil man damit später leichter einen immer gleichen Ausschnitt bestimmen kann. Mit unterschiedlichen Brennweiten fertigt man Fotos an, auf denen das vorher festgelegte markante Objekt immer ungefähr in der Mitte zu liegen kommt. In einem Bildbearbeitungsprogramm schneidet man aus den verschiedenen Fotos mit den unterschiedlichen Brennweiten immer
exakt denselben Ausschnitt heraus. Sätestens jetzt erkennt man, dass alle Ausschnitte die gleiche Perspektive besitzen. Bis auf Helligkeits- und Auflösungsunterschiede sehen alle Ausschnitte völlig identisch aus. Nirgends findet sich eine Spur gedehnter oder komprimierter Perspektive.
Die bildlichen Veränderungen in Form von Dehnung oder Verdichtung ergeben sich rein aus der Änderung der Distanzverhältnisse beziehungsweise aus dem Verhältnis von der Vordergrundentfernung zur Hintergrundentfernung. Oder noch einmal anders ausgedrückt aus dem Abstand von Filmebene zu wenig entfernten Objekten und dem Abstand von der Filmebene zu den weit entfernten Bildteilen. Ein Fotograf, der die Perspektive kontrollieren will, muss lernen die Verzerrungen in seinen Bildern zu kontrollieren. Der Satz stammt natürlich nicht von mir, sondern von Andreas Feininger, erklärt aber, warum man auch Weitwinkel- oder
leichte Teleobjektive als „normale" Brennweiten nutzen kann.
Für gute Ergebnisse ist man genötigt Distanzen zu verändern um die Relation von
Vordergrund zu Hintergrund zu optimieren und dem Fotografen kommt letztendlich
auch noch die Aufgabe zu, optische Eigenarten bestimmter Objektivtypen zu kompensieren oder in die Bildgestaltung einzubeziehen.
Bei Weitwinkelobjektiven, ergibt deren großer Bildwinkel bei geringer Distanz zum Objekt eine Veränderung der Proportionen durch die enorme Fluchtperspektive. Vereinfacht gesagt wird ein nahes Objekt zu groß und ein entferntes Objekt zu klein abgebildet. Zusätzlich treten durch diesen Effekt geometrische Verzerrungen auf, welche zum Beispiel rechte Winkel in spitze Winkel verändern
werden. Das kennt man als typischen Weitwinkeleffekt oder ungenau
ausgedrückt als Weitwinkelperspektive.
Bei Teleobjektiven verschieben sich die Proportionen bedingt durch eine reduzierte Fluchtperspektive etwas anders. Nahe Objekte erscheinen von normaler Größe während entfernte Objekte
proportional zu groß abgebildet werden. Scheinbar schrumpfen dadurch die Abstände, lassen die Objekte näher zusammenrücken und der Eindruck eines flachen, komprimierten Raumes entsteht.
Quod erat expectandum folgen genau an dieser Stelle die unvermeidlichen Vergleichsaufnahmen. Wieder einmal vom allseits bekannten Reumannplatz in Wien Favoriten,
aufgenommen mit einer Minolta Dynax 7000i und dem AF 28-105mm-Objektiv zur Dynax-Serie auf dem Ilford PAN 400
entwickelt im Wehner-Entwickler.
Bei allen Ausschnitten ist die Tiefenausdehnung des großen Gebäudes gleich. Weder bei der kürzesten Brennweite 28mm noch beim 105mm-Tele sind Unterschiede zu sehen. Auch der Abstand zwischen dem Gebäude im Vordergrund und jenem im Hintergrund ist in jedem Ausschnitt gleich und ändert sich von 28mm bis 105mm nicht. Selbiges trifft auch auf den Baum zwischen den Gebäuden zu. Er bleibt immer an seiner Position gleich weit vom vorderen und hinteren Gebäude entfernt. Natürlich sind auch die Fensterabstände beim Gebäude im Vordergrund auf allen Ausschnitten gleich.
Jetzt folgen drei (simulierte) Bilder, welche mit einer Perspektivänderung, dem Abbildungsmaßstab und dem Fluchtpunkt zu tun haben. Verglichen wird Weitwinkel-, Normal- und Teleobjektiv. Im Unterschied zu der Bildserie oben wird das Haus im Vordergrund immer gleich groß abgebildet, der Abbildungsmaßstab ändert sich bei ihm also nicht. Um das mit verschiedenen Objektivbrennweiten zu erreichen, ist es notwendig den Abstand zwischen Haus und Kamera zu verändern. Je nach Objektiv und Objektgrößen kann sich das zu einem Wandertag auswachsen und die Entfernungsveränderung geht auch mit einer Änderung der Perspektive einher. Durch die große Fluchtperspektive beim Weitwinkelobjektiv erscheint der Wohnblock im Hintergrund klein, durch die stark reduzierte Fluchtperspektive des Teleobjektivs dagegen viel größer und wegen der extrem geringen Schärfentiefe möglicherweise unscharf.
Aus diesen Versuchen kann man ableiten, dass bei Aufnahmen vom gleichen Standort die Brennweite ausschließlich den Abbildungsmaßstab bestimmt. Wie groß ein Objekt auf dem Negativ abgebildet wird ist immer brennweitenabhängig, während der Abstand zum Objekt für das Ausmaß der Verzerrung zuständig ist. Vergleicht man Weitwinkel- bis Teleobjektiv stellt man fest, dass der Abbildungsmaßstab mit der Verlängerung der Brennweite größer und bei Verkürzung der Brennweite kleiner wird. Verändert man den Standort, ändert sich die Perspektive und die Größenverhältnisse der Objekte auf dem Bild. Die Zusammenhänge:
Kurze Brennweite = größerer Bildwinkel = kleinerer Maßstab
Lange Brennweite = kleinerer Bildwinkel = größerer Maßstab
Verzerrungen ergeben sich aus dem Abstand der Kamera zum Objekt ...
... und sie sind Teil optischer Eigenarten eines Objektivs (z.B. Bildfeldwölbung)
Optische Täuschungen können zusätzliche Abbildungsfehler verursachen
Für ein Weitwinkel- oder Teleobjektiv anstelle eines Normalobjektivs ergibt sich bei der Bildgestaltung also die Notwendigkeit ständig die Objektabstände zu variieren und gleichzeitig die Verzerrungen unter Kontrolle zu halten. Das kann bei einem Weitwinkel mit einiger Laufarbeit und beim Teleobjektiv mit großen Abständen verbunden sein. Zusätzlich ergibt sich die Erkenntnis, dass es das eine Universalobjektiv für alle Gelegenheiten nicht geben wird. Für allgemeine Aufnahmen liegt man beim Kleinbildformat mit einer Brennweite von 28mm bis 35mm immer so einigermaßen richtig.
Gibt es hingegen einen vorgegebenen Abbildungsmaßstab kann es sein, dass ein universell verwendbares Objektiv ungeeignet ist, weil nur ein bestimmter abweichender Brennweitenbereich gute Ergebnisse ermöglicht. Das beste Beispiel ist die Portraitfotografie. Die Köpfe der Menschen sind Objekte mit nur geringer Variation in der Größe. Demnach hat man es sowohl beim größten als auch beim kleinsten Kopf mit einem sehr ähnlichen Abbildungsmaßstab zu tun. Mit einem Weitwinkelobjektiv wäre man bei formatfüllender Abbildung viel zu nahe am Objekt. Mit entsprechenden Folgen in Form verunstalteter Gesichter. Reduziert man den Abbildungsmaßstab indem man den Abstand erhöht, erscheinen die Proportionen der Gesichter normal, nur ist man von einer brauchbaren Abbildungsgröße weit entfernt. Das Bild würde aus einem kleinen Kopf inmitten eines großen Hintergrundes bestehen. Die nahe liegende Lösung für Portraits ist, die Objektivbrennweite für einen größeren Abbildungsmaßstab zu erhöhen, damit Köpfe und Gesichter auch bei optimaler Größe am Negativ noch die richtigen Proportionen behalten. Das funktioniert schon bei 50mm Brennweite in brauchbarem Rahmen, längere Brennweiten mit dem damit verbundenen größeren Abbildungsmaßstab sind deutlich besser geeignet und das ist unter anderem der Grund, warum "Portraitobjektive" immer in einem Brennweitenbereich von 80mm bis 135mm liegen.
So weit die Erkenntnisse aus den Vergleichsaufnahmen. Wer den Bildern skeptisch gegenüber steht, weil auf den kleinen Ausschnitten die Blickrichtung wegen einer optischen Täuschung etwas unterschiedlich zu den großen Bildern erscheint, kann gerne eigene Ausschnitte anfertigen, die Perspektive kontrollieren und noch andere eigene Tests machen. Ich habe die Bilddateien so wie sie aus dem Scanner gekommen sind in eine ZIP-Datei gestellt:
Vergleichsaufnahmen als Download
Jänner 2024
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