Ricoh 35R
Es gibt immer wieder Gelegenheiten, wo man mit teuren Kameras einfach nicht fotografieren will. Bei sportlichen Aktivitäten oder in rauer Umgebung ist das Risiko eine teure digitale oder analoge Kamera zu beschädigen mitunter sehr groß. Wer kein Risiko eingehen will, greift meistens zu einer preiswerten Kompaktkamera. Verschiedene Modelle gibt es wie Sand am Meer und beim vielfältigen Angebot die Übersicht zu bewahren fällt sogar jenen schwer, die sich intensiv mit dem Fachgebiet Fotografie auseinandersetzen. Meist ist die Devise der Hersteller: Größerer Zoombereich, mehr Automatikfunktionen und kleineres Gehäuse. Leider ist es sehr oft so, dass dabei die optische Qualität der verbauten Objektive nur mehr das Prädikat „brauchbar" verdient und man mit Anfangslichtstärken von 1:6,9 keinen auch nur halbwegs ambitionierten Fotografen begeistern kann.

Die Ricoh 35R ist da eine Ausnahme, weil sie eigentlich ein Nischenprodukt im Segment der Kompaktkameras ist. Obwohl die Kamera nicht mehr gebaut wird, ist sie nach wie vor als Neugerät um 99 Euro zu haben (Brenner Fotoversand Weiden). Wem das zu teuer ist, für den gibt es im Gebrauchtgerätehandel immer wieder gut erhaltene Ricoh 35R um etwa 40 bis 60 Euro. Wer sich so ausgerüstet ins Outdoor-Abenteuer stürzt, hat zumindest bei Beschädigung oder beim Verlust der Kamera nicht sehr viel zu befürchten.
Ricoh hat die Produktion von 35mm-Kameras meines Wissens nach ganz aufgegeben und stellt nur mehr Digitalkameras und Produkte für Bürokommunikation her. Doch zurück zur Ricoh 35R: Mit einem Neupreis von rund 100 Euro ist die Kamera erschwinglich und auch der Lieferumfang überrascht. Neben der Kamera findet man einen Adapterring von 35mm auf 49mm Filtergewinde, eine Gegenlichtblende, einen Umhängeriemen und eine Tragtasche im Karton.

Das Design der Kamera ist wenig aufregend und ein wenig altmodisch, kein Wunder, denn die Konstruktion dieses Modells ist runde 8 Jahre alt. Das Kameragehäuse ist aus Kunststoff gefertigt und wirkt ein wenig billig, trotzdem ist es gut verarbeitet und hält einiges aus. Die Bedienung ist gut mit ausreichend großen und griffgünstig platzierten Bedienelementen. An der Oberseite der Kamera befindet sich ein LC-Display mit der Anzeige der Betriebsart, dem Bildzähler und der Belichtungskorrektur. Gleich rechts daneben können mit einem Wählrad die Kamerafunktionen umgeschaltet werden. Über einen Mittenkontakt können sogar externe Blitzgeräte an der Ricoh 35R verwendet werden, was den Einsatz z.B. für Aufnahmen in größeren Innenräumen erheblich erweitert. Es sind die zusätzlichen Funktionen, die eine Kamera wie die Ricoh 35R erst interessant machen. Neben der vollautomatischen Belichtung (Programmautomatik) kann die Kamera auch auf Zeitautomatik umgeschaltet werden, wobei nur die Blenden 5,6, 11 und 22 zur Verfügung stehen. Auch der Autofokus lässt sich abschalten und die Entfernung manuell nach eigener Schätzung einstellen. Mehrere Blitzfunktionen, eine Belichtungskorrektur mit +2/-2 Blendenstufen, eine Mehrfachbelichtungsmöglichkeit und ein TV-Programm für Aufnahmen von einem Fernsehgerät oder Computermonitor mit einer Belichtungszeit von 1/30 Sekunde runden die Ausstattung ab. Der TV-Modus ist übrigens auch die einzige Möglichkeit die Belichtungszeit und die Blende manuell festzulegen.
Das Objektiv der Ricoh 35R ist für eine Kompaktkamera ebenfalls ein wenig außergewöhnlich, denn man hat sich für ein stärkeres Weitwinkel mit einer Brennweite von 30mm entschieden und schon der erste Blick durch den Sucher zeigt bedeutend mehr Bildwinkel als man von den üblichen 35mm-Brennweiten bei Kompaktkameras gewöhnt ist. Der größere Bildwinkel ist bei Landschaften, in Innenräumen und bei großen Personengruppen ein Vorteil, Portraits gelingen mit der Ricoh 35R aber nur dann, wenn man die Umgebung einbezieht oder eine relativ große Ausschnittsvergrößerung in Kauf nimmt. Eine Variante, die wahrscheinlich nur bei der Filmverarbeitung im eigenen Labor sinnvoll ist. Die Stärken der Ricoh 35R liegen eindeutig im Bereich Reisefotografie oder bei Dokumentationen. Die Abbildungsleistung des Objektivs ist gemessen am Preis der Kamera sehr gut. Zwar ist die Konstruktion ohne großes Linsenelement an der Rückseite der Optik ein Balanceakt zwischen Qualität und Preis, die Mehrschichtvergütung und scheinbar exakte Zentrierung der Linsenelemente sorgen aber für eine gute Bildqualität. Schärfe und Kontrast erreichen oder übertreffen die Objektive von wesentlich teureren Kompaktkameras ohne jedoch mit einer Leica M, einer Voigtländer Bessa oder Konica Hexar mithalten zu können. Die Vignettierung des Ricoh Objektivs ist sehr gering und vernachlässigbar und mit einer Lichtstärke von 1:3,9 ist die Kamera auch mit einem ISO-200-Film universell einsetzbar ohne dass die Kamera übermäßig oft nach dem Blitz verlangt.
Das eingebaute Blitzgerät ist ein Punkt, der an der Ricoh 35R nicht optimal ausgefallen ist obwohl es verschiedene Blitzfunktionen gibt. Zwar informiert eine orange LED wenn es Zeit wird das Blitzgerät zu verwenden, die Leistung des integrierten Blitzgerätes reicht aber gerade für eine Reichweite bis zu etwa 2 Meter. Sind Objekte weiter entfernt werden die Aufnahmen sehr oft unterbelichtet. Ob der Grund dafür die Belichtungsmessung der Kamera oder die Leistung des Blitzgerätes ist, konnte ich nicht herausfinden. Abhilfe schafft ein externes Blitzgerät wie z.B. ein Metz BC-6 der mit Leitzahl 20 (ISO 100) sowohl von der Leistung als auch von der Ausstattung und Größe gut zur Kamera passt. Der Nachteil dabei ist, dass man ein zusätzliches Teil mit sich herumschleppen muss.

Fotografieren mit der Ricoh 35R ist eine unspektakuläre Sache. Die Kamera erregt kaum Aufsehen und man könnte sogar völlig unbemerkt fotografieren, wenn da nicht der laute Motorantrieb wäre. Der Filmtransport ist nicht zu überhören und beginnt seine Arbeit unmittelbar nachdem die Belichtung abgeschlossen ist. Leider gibt es keine Möglichkeit den Transport abzuschalten oder verzögert ablaufen zu lassen. Das Gehäuse ist hinsichtlich der Abmessungen zwar kein Winzling, lässt sich aber ganz gut in einer Jackentasche verstauen wenn man Wert auf möglichst wenig Ausrüstung legt. Ein Pluspunkt ist die Stromversorgung. Die Kamera bezieht ihre Energie aus zwei Mignon-Batterien oder Akkus, was nicht nur preiswert ist sondern auch die Nachbeschaffung unterwegs erheblich vereinfacht.

In Verbindung mit dem Ewa-Marine U-AM Unterwassergehäuse (Preis ca. € 50,--) kann man die Ricoh 35R sehr gut zum Schnorcheln oder in extrem feuchter Umgebung einsetzen. Gerade bei Unterwasseraufnahmen kommt man mit der Kamera gut zurecht und die Bedienung ist auch für weniger versierte Anwender einfach. Da sich die Objektivbrennweite unter Wasser etwa um den Faktor 1,3 verlängert, wird das Weitwinkelobjektiv zu einem 40mm Normalobjektiv. Die Entfernung stellt man manuell zwischen 1,2 und 2,5 Meter ein, weil der Autofokus unter Wasser nicht ordentlich arbeitet. Das ist kein Mangel der Ricoh 35R sondern physikalisch bedingt. Die Belichtung bleibt auf Programmautomatik allerdings mit zugeschaltetem Blitz. Der Blitz ist deshalb zu empfehlen, weil er den unter Wasser sehr bald auftretenden Blaustich zumindest etwas mildert. Manko ist auch hier die relative schwache Blitzleistung, trotzdem gelingen mit einem 400-ISO-Negativfilm durchaus brauchbare Unterwasseraufnahmen im Bereich von 60cm bis etwa 2 Meter.
Über Wasser, z.B. am Strand oder beim Segeln, kann man die Ricoh 35R wieder im Automatikmodus betreiben. Der Autofokus der Kamera wird durch die Planglasscheibe eines Unterwassergehäuses nicht irritiert und funktioniert einwandfrei. Die Wahl der Filmempfindlichkeit richtet sich dabei nach den Wetterbedingungen, es empfehlen sich Empfindlichkeiten von ISO 200 bei Sonnenschein oder ISO 400 bei bedecktem Himmel.





Fazit:

Die Ricoh 35R ist eine Kamera mit der man sicher kein Aufsehen erregen wird. Sie ist nicht geeignet für Anwender die Wert auf Prestige und hochwertige Ausführung legen. Dafür bekommt man ein robustes Arbeitspferd mit umfangreicher Ausstattung und mehr als ordentlicher Abbildungsleistung. Für einen Neupreis von 100 Euro kann man wegen dem 30mm-Objektiv auch über die paar kleineren Schwächen hinwegsehen. Eine Empfehlung für Städtereisen, Radtouren und überall dort, wo man mit kleinem Gepäck gute Fotos machen möchte.

März 2001 / überarbeitet April 2005

Übersichtliche Bedienelemente aber kleines LC-Display mit spartanischen Anzeigen

Mignon-Batterien sind preiswert und überall zu bekommen. Die Ricoh 35R kann auch mit Nicd- oder NiMh-Akkus betrieben werden. Ein Satz Batterien reicht für dutzende Filme auch wenn man den eingebauten Blitz öfters verwendet.

Die Ricoh 35R ist eine der wenigen Kompaktkameras mit einem Mittenkontakt zum Abschluss eines externen Blitzgerätes.

Bild oben: Die Umschaltung von Autofokus auf manuelle Entfernung bzw. von Programm- Automatik auf Zeit- Automatik erfolgt am Objektiv. Der Blendenring ist zugleich auch der Hauptschalter der Kamera.

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